Süddeutsche Zeitung Nr. 51, Donnerstag, 3. März 1994

Umwelt – Wissenschaft – Technik

Das Seerechtsabkommen betrifft nur exotische Ressourcen

Von: Arnd Bernaerts


Ende diesen Jahres, am 16. November 1994, wird die erste globale Verfassung, das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982, in Kraft treten. Die Bundesregierung muß sich bald entscheiden, ob sie diesem beitreten wird. Umstritten ist vor allem Teil XI des Abkommens, in dem es um den Tiefseebergbau geht - freilich nur um die Ressourcen, die sich wenigstens 370 Kilometer  vor der Küste eines Kontinents oder Insel entfernt und in einer Wassertiefe von mehr als 2500 Metern befinden. Nur wenn der Zugang zum Tiefseebergbau vitalen Interessen der Bundesrepublik genüge; könne dem Seerecht von 1982 zugestimmt werden, entschied das Bundeskabinett 1984.

Die Tiefseeressourcen, derzeit nur kartoffelgroße Manganknollen, zu finden in Meerestiefen von 3000 bis 6000 Metern, wurden bereits auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1970 zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit" erklärt. Da dieser Grundsatz mit einem freien Aneignungsrecht nicht vereinbar ist, streitet man, wie der Abbau der Manganknollen organisiert und wer was wann zu sagen und zu bezahlen haben soll.  Dabei geht es, wie man heute weiß, um Ressourcen, die allenfalls in ferner Zukunft einmal bedeutsam werden könnten. Von Anfang an besonders interessiert daran ist Deutschland, das sich als ein rohstoffarmes Land versteht. Ein Beschluß des Bundestages im Jahr 1977 proklamierte nämlich, daß die Bundesrepublik wegen ihrer kurzen Meeresküste benachteiligt sei und deshalb einen freien Zugang zu den Tiefseeressourcen anstreben müsse. 


Metallkrusten im Schelf

Inzwischen weiß man, daß riesige Metallkrusten- und Erzschlammvorkommen in weniger als 2500 Meter tiefen kontinentalen Schelfgebieten existieren.. Die Abbaurechte stehen allein den Küstenstaat zu und fallen nicht unter den strittigen Regelungsbereich. Preiswerter dürfte der küstennahe Abbau in aller Regel ohnehin sein.

Wie groß die den Küstenstaaten gehörenden Vorkommen sind, ist noch weitgehend unbekannt. Experten mutmaßen jedoch, daß die in den nächsten 200 Jahren kommerziell abbaubaren Erzvorkommen vom Meeresboden zu 90 Prozent auf die Küstenstaaten entfallen. Eine Studie des US-Kongresses stellte zum Beispiel bereits 1987 fest, daß auf dem Blake-Plateau vor Florida in nur 1000 Metern Wassertiefe etwa 250 Milliarden Tonnen Eisenmanganknollen (ferromanganese nodules) liegen. Da dieseVorkommen 15 Prozent Mangan enthalten und die Vereinigten Staaten pro Jahr rund eine Million Tonnen von diesem Erz benötigen, könnten sie Bedarf an Mangan alleine vom Blake-Plateau 37.500 Jahre lang decken. 

Für den  potentiellen Abbau von Mineralien in den Schelfgebieten werden die Küstenstaaten aufrecht unterschiedliche und zum Teil sehr umfangreiche Vorkommen Zugriff haben: Erzschlämme in fast 2000 Metern Wassertiefe, Manganknollen von 500 Metern an, Erzkrusten in Tiefen von 1000 bis 2400 Metern, Phosphorite von 200 bis 2000 Meter tief und Schwermineralseifen bis in 200 Meter Wassertiefe..

Bereits diese Vorkommen werden sich auf sehr lange Zeit nur in Ausnahmefällen gegenüber den an Land abgebauten oder sich im Welthandel befindenden Erzen aus wirtschaftlicher Sicht behaupten können. Auf dem Rohstoffmarkt werden die Manganknollen der Tiefsee weder morgen noch übermorgen einen Platz haben und fallen schon deshalb als Instrument für die Durchsetzung einer neuen Weltwirtschaftsordnung aus. Der Gedanke an eine Rendite aus dem gemeinsamen Erbe der Menschheit ist vorläufig nur einTraum. 

Tiefseebergbau wird aber insbesondere auch aus Umwelschutzgründen fiir lange Zeit unpraktikabel. Voraussetzung wäre nämlich eine leistungsfähige Fördertechnik, die eine langfristige Schädigung des Meeresbodens ausschließt. Sie müßte die Einbringung von  Meeresbodensedimenten in die darüber befindlichen Wassermassen auf ein unschädliches Maß reduzieren. Vor allem aber müßte verhindert werden daß die klimaregelnden Funktionen der Weltmeere durcheinandergetaten. Das heißt, man müßte vermeiden, daß große Mengen kalten Tiefenwassers (null bis fünf Grad Celsius) in höhere Wasserschichten verbracht oder gar mit dem über 20 Grad warmen Oberflächenwasser des Explorationsgebietes vermischt werden. 

Ob dies je möglich sein wird, ist heute noch höchst zweifelhaft. Über den Einfluß großer Wasserverschiebungen auf die Temperatur- und Strömungsverhältnisse im Meer sowie auf das Wetter und die Wolken in der unteren Atmosphäre wissen Forscher bisher sehr wenig. Generell muß davon ausgegangen werden, daß eine Abbaueinheit pro Tag etwa 100 000 Tonnen eiskalten Wassers an die Oberfläche fördern würde. Aber auch bei einer Rückführung des Tiefenwassers bleibt ein solches Unterfangen vorläufig unkontrollierbar.